Es gibt keine Fantasiewelt
Rassismus, Kolonialismus und Post-Kolonialismus sind Themen, die David Guy Kono im Theater sehen will.
Nach seinem dreitägigen Workshop "L'acteur en situation" spricht der Schauspieler mit Yacouba Coulibaly vom Transnationalen Ensemble Labsa.
Yacouba Coulibaly: Was willst du im Theater sehen?
David Guy Kono: Ich habe keine große Erwartungen. Ich will im Theater die Realität sehen – nicht einfach eine Geschichte erzählt bekommen und der Fantasie freien Lauf lassen. Es gibt keine Fantasiewelt. Es gibt eine reale Welt. Man versucht mit viel Dramaturgie im Theater eine Fantasiewelt zu erschaffen, aber wir sind in einer realen Welt, die sehr aggressiv und massiv ist. Rassismus, Kolonialismus und Post-Kolonialismus sind Themen, die ich im Theater sehen will. Die Bilder im afrikanischen Fernsehen über Europa entsprechen nicht dem Leben in Europa, und umgekehrt sind die Bilder über Afrika in den Medien hier auch falsch. Es ist anders, wenn du tatsächlich im Afrika bist. Das heißt, wir müssen jetzt die reale Welt am Theater erzählen – das will ich sehen.
Welche Rolle spielt Theater für dich?
Ich habe als Schauspieler und Performer angefangen. Ich habe viele Geschichten des klassischen griechischen Theaters gelesen. Als ich in Kamerun war, hat meine Oma uns jeden Abend im Kreis am Feuer Märchen erzählt. Für mich gibt es eine wichtige Verbindung zwischen diesen Geschichten und dem griechischen Theater. Die Menschen in Griechenland arbeiteten den ganzen Tag hart, und abends sahen sie diese tollen, wahren Geschichten im Theater: das ist wie frische Luft zum Atmen. Wo fängt Theater an? Die Form ist für mich sehr wichtig.
Ist Theater politisch?
Theater ist immer Politik. Es ist eine politische Form und ein Diskurs, in dem du Position beziehen musst. Theater ist nicht wie Schule, wo man sagt: das und das darfst du nicht. Es geht darum die Welt zu zeigen, und wir können Vorschläge machen für eine bessere Welt.
Was macht einen Künstler aus?
Das ist eine große Frage. Wer ist Künstler? Ich denke, Kunst lernt man nicht. Zu mir ist die Kunst einfach gekommen. Das habe ich nicht entschieden. Ich habe gelernt, wie man auf der Bühne steht, wie man spricht und wie man eine Geschichte erzählt. Aber der Rest kommt von mir, wie ich die Gesellschaft sehe – jetzt, in 20 Jahren oder in 100 Jahren. Ich fühle mich als Künstler, weil ich eine Energie spüre, die wie eine Inspiration zu mir kommt; und ich muss dieser Energie Raum geben.
Wir haben ja zusammen den Workshop gemacht. Was kannst du der Gruppe mitgeben?
Ich war nur drei Tage hier. Ich finde das für mich ein bisschen arrogant, jetzt Vorschläge zu machen. Ihr kennt euch seit fünf Jahren, und ich komme als externe Person für einen Workshop dazu, um einen Impuls zu geben. Ich kann einfach nur sagen: Macht weiter! Ihr könnt meinen Impuls nutzen für eure künstlerische Entwicklung. Ich will nicht sagen, ihr müsst das so und so machen.
Was hat dir an der Gruppe gefallen?
Ich sehe in der Gruppe einige, die genau wissen, was sie wollen. Und es gibt andere, die auf der Suche sind. Sie sind auf verschiedenen Stufen. Diese unterschiedlichen Stufen sind gut. Warum sollen wir zusammenarbeiten? Es ist gut, wenn jemand tanzen kann und jemand anderes kann es nicht; und wenn jemand singen kann oder auch nicht. Es ist immer dieses fifty-fifty. Aus zwei Hälften wird Eins. Im Theater gibt es kein Ich. Es geht nicht um die einzelne Person, das ist eine Gruppenarbeit.
Welche wichtige Erfahrung hast du auf der Bühne gemacht?
Ich hatte diesen langen Monolog, fast 35 Seiten. Ich hatte das Stück viele Male gespielt. Dann kam dieser Moment: Plötzlich habe ich den Text komplett vergessen. Ich wusste gar nichts, ich war nur da, ich habe nur gestanden. Wenn du keinen Text hast, weißt du nicht, was passiert. Du kannst einfach diese Situation nehmen, ganz ernst, ohne Stress. Ich habe nur da gestanden – zehn Minuten lang hat man mir hinterher gesagt. Ich sagte mir okay; wenn der Text nicht kommt, kann ich einfach so bleiben: ein oder zwei oder fünf Stunden. Scheiß egal.
Wichtig ist, dass du ruhig geblieben bist.
Ja wichtig war, ich bleibe ruhig. Mein Regisseur hat zu mir gesagt, es waren zehn Minuten. Für mich war es so lang wie 100 Jahre. Aber die Zuschauer fanden es toll, wie ich das gespielt habe. Sie wussten nicht, was in mir passiert ist. Diese Situation war wirklich krass für mich. Versuche nicht Theater im Theater zu spielen.
Es war vielleicht für die Zuschauer etwas ganz Neues.
Ja.